How to sit a dog – oder: Nasenarbeit ist das halbe Leben




Ich habe Besuch von Kumi. Sie ist neun und ein Hund. Ich passe heute auf sie auf, während Mo und ihr Herrchen einen Termin haben. Ich kenne Kumi schon ganz gut, alleine waren wir aber noch nie. 

Der Hund ist seit einer Minute bei mir und ich beginne damit, alles, was ich tue, zu kommentieren. Ich mache smalltalk – von der peinlichsten Sorte. Gut, dass sie mir nicht antworten oder fragend die Augenbraue hochziehen kann. Kumi folgt mir auf Schritt und Tritt, während ich mich noch ordentlich anziehe, mein Frühstück zubereite und ihr poplig genau beschreibe, was ich tue. Als müsste ich mich erklären. „Ach, jetzt muss ich nochmal zurück zum Schrank. Ich hab ja noch gar keine Socken an. Musst nicht mitkommen, ich bin gleich wieder da. Okay, dann komm doch mit.“ 

Endlich sitze ich an meinem Schreibtisch und habe ein paar Brote vor mir stehen. Der Hund sitzt erwartungsgemäß neben mir und guckt an mir hoch. Ihr Herrchen hat mir Kaustangen dagelassen, von der ich ihr nun eine gebe. Das sollte sie ein wenig ablenken, bis ich die Brote aus ihrer Riechweite gebracht habe. Die Kaustange ist recht zäh und wir ungefähr gleichzeitig fertig mit dem Essen. 

Kurz danach sitzt Kumi auch schon wieder neben mir und guckt. Und nu? Es ist erst 10 Uhr am Vormittag und ich entscheide, natürlich nach eingehender Absprache mit dem Hund, dass wir eine Runde spazieren gehen. Vielleicht wird sie dadurch ein bisschen müde und ich kann mich an die Arbeit setzen.  Als ich meine Schuhe anziehe, beginnt Kumi sich vor Freude im Kreis zu drehen. Ich kriege sie kaum zu fassen, um ihr die Leine anzulegen. Bevor wir runtergehen, denke ich ganz effizient daran den Müll mit runter zu nehmen. Mit vier Mülltüten und einer Hundeleine in der Hand gehe ich die Treppen hinunter. Auf dem großen Hof lasse ich Kumi frei laufen und gehe zu den Mülltonnen. Kumi erkundet währenddessen Teile des Hofes, die mir zuvor nie aufgefallen waren. Zum Glück hört sie aufs Wort und beendet ihre Expedition auf Zuruf. 

Auf der Straße schnuppert Kumi an allem. Hauptsächlich aber an den Hinterlassenschaften anderer Vierbeiner. Der Schnee macht die Markierungen der anderen Hunde sichtbar und ich erblicke das, was Hund sonst nur riecht. Unzählige gelbe Flecken - ein Königreich für eine Hundenase. Auf jeden zweiten Fleck setzt Kumi noch einen drauf. 

Dann passiert es. Kumi schnuppert an einer Stelle etwas intensiver, hockt sich hin und bleibt so. Das habe ich befürchtet. Die Passanten um uns herum schauen verstohlen zu uns rüber. „Na, wird sie’s wegmachen?“, fragen sie sich intuitiv. In der Jackentasche habe ich eine kleine Mülltüte, die ich langsam hervornestele. Beim Hund meiner Eltern hab ich dafür immer eine Art Zange benutzt. Damit kam man nicht in direkten Kontakt mit der Konsistenz des Haufens. Kumi ist fertig. Ich stülpe die kleine Tüte um meine Hand, halte die Luft an und hebe den dampfenden Haufen auf. Mh. Überraschenderweise sehr fest. Feiner Hund. Weit und breit ist kein Mülleimer zu sehen. Die Tüte mit Kumis Haufen trage ich noch circa bis zum Park mit mir rum, wo endlich wieder Mülleimer stehen. Der Park ist zugefrorener als erwartet. Wir gehen nur die äußeren Wege, die schon etwas matschiger sind. 

Von weitem nickt mir eine Frau mit zwei Yorkshire Terriern an der Leine freundlich zu. Ich bin erst geneigt, mich nicht angesprochen zu fühlen und nach dem eigentlichen Adressaten umzugucken, merke aber schnell, dass doch ich gemeint bin. Hund haben verbindet. Ich nicke zurück. 

Ihren Blaseninhalt hat sich Kumi sehr gut eingeteilt. Gegen Ende der circa 40-minütigen Gassirunde kann sie  immer noch, wenn auch nur tröpfchenweise, Nachrichten an die anderen Hunde hinterlassen. Wir treffen auf einen aufgeregten Boxer, der sich, als er uns sieht, quasi nur noch auf den Hinterbeinen fortbewegt. Kumi ist ungefähr nur ein Zehntel so viel an ihm interessiert, schnuppert kurz und geht weiter. Sehr lässig. Als wir um die Kurve biegen, um den Park wieder zu verlassen, keucht uns der Boxer noch immer hinterher. 

Zu Hause rennt Kumi das Treppenhaus hoch und denkt in jeder Etage, sie sei bei unserer Tür angekommen. Noch eins weiter, noch eins...ganz oben angekommen schüttelt sie sich und sprenkelt die Wand vor unserer Tür in einem satten Pfützengrau. Gut, der grobe Schmutz ist dann ja schon mal weg. Nachdem wir mit Pfoten und Schuhen den ganzen Flur dreckig gemacht haben, rubbel ich sie mit einem alten Badehandtuch ab. Wie eine Dame gibt sie mir danach noch ihre Pfötchen zum Säubern. 

Gänzlich erschöpft sieht Kumi noch nicht aus, aber ich muss jetzt ein bisschen arbeiten. Kumi auch, beschließe ich, da sie sich partout nicht auf ihren Platz legen will. Aus einer abgerollten Klopapierrolle bastel ich ihr ein kleines Schnüffelspielzeug. In die Rolle kommen kleingerupfte Wurstscheiben, oben und unten werden die offenen Enden der Rolle eingeknickt, sodass nichts rausfallen kann. Das kleine Paket werfe ich Kumi hin und sie beginnt es auseinander zu rupfen. Ich kann kurz meine Gedanken ordnen und überlege, womit ich meinen Arbeitstag beginne. Drei Minuten später schnäuzelt mir Kumi am Arm herum. Da wo gerade noch die Klopapierrolle war, liegen eingespeichelte Pappreste. Ich mache ihr noch ein Klorollen-Bonbon, danach ist aber Zeit für einen kleinen Mittagsschlaf. 

Ich habe für Kumi eine Ecke im Wohnzimmer vorgesehen. In diese habe ich einen kleinen Hochflor-Teppich gelegt, in dem sich Hunde erfahrungsgemäß gern suhlen. Nachdem ich ihr ausdrücklich gesagt habe, dass es jetzt nichts mehr gibt, gebe ich Kumi noch eine Kaustange. Sie trägt die Stange ordnungsgemäß auf den kleinen Teppich und beginnt zu nagen. Ich beginne mit meiner Arbeit und versuche Kumi so gut es geht zu ignorieren. Nach einem kleinen Seufzen hier und einem lauten Stöhnen da, höre ich es bald gleichmäßig atmen.  

Zwei Stunden lang rührt sie sich, bis auf ein paar kleine Zuckungen in den Beinen, nicht. Wilde Träume. Dann spüre ich plötzlich ihre Pfote auf meinem Bein. Als ich mich mit meinem Drehstuhl zu ihr wende, erkennt sie die Gunst der Stunde, legt sich sofort auf den Rücken und fordert ihre Streicheleinheit mit einem Geräusch auf, was ich nur als Bellen mit geschlossenem Maul beschreiben kann. 

Ich würd sie so gern beschäftigen, aber mir sind die abgerollten Klopapierrollen ausgegangen. Laut Packung darf sie am Tag auch nur höchstens zwei Kaustangen haben. Mein Blick fällt auf das Handtuch und mir eine weitere Art der Nasenarbeit ein. Ich verteile ein paar Wurststücke in den Falten des Handtuches und rolle das ganze am Ende zu einer großen Wurst. Kumi ist ganz aus dem Häuschen und lässt mich kaum zu Ende rollen. Als ich sie lasse, schnüffelt sie energisch los, zerrt am Handtuch und schnüffelt noch energischer. Die Wurst ist nur einen Handtuchstoff entfernt. Es dauert ein wenig bis Kumi das verstanden hat. Nachdem alle Wurststücke gefunden sind, überprüft sie den Langflor-Teppich auf eventuelle Wurstreste. 

Nach weiteren zwei Stunden endet unser gemeinsamer Tag. Wir verabschieden uns wortreich und ich nehme ihr das Versprechen ab, ihrem Herrchen nichts von den vielen Leckerlies zu erzählen. Dann stünde einem nächsten Treffen ja nichts mehr im Weg.


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Please hold the line – oder: Es dudelt immer noch



Es ist 10:00 Uhr und ich bin zu meiner ersten Telefonkonferenz verabredet. Zu viert. Herrje, und dabei telefoniere ich doch nicht mal gerne mit einer Person. Ganz besonders, wenn ich die Person nicht kenne. Natürlich bin ich überpünktlich in der Leitung, möchte bei meinen Kunden ja keinen schlechten, ersten Eindruck hinterlassen. Ich lausche einer Warteschleifen-Musik. Wenn ich das richtig verstanden habe, wird die Leitung erst freigeschaltet, wenn die Initiatoren, in diesem Fall die beiden Kundinnen, akustisch anwesend sind. Gebannt höre ich genau hin und erwarte jede Sekunde ein leises Knacken, gefolgt von der Begrüßung meiner Gesprächspartner. Aber erstmal dudelt die Musik weiter. Sie wiederholt sich momentan zum dritten Mal. Eigentlich angenehm beruhigend.

Ich gehe nochmal meine Notizen durch, die ich zum ersten Briefing gemacht habe und die nun fein säuberlich vor mir liegen. Große Fragezeichen hier, einige Ausrufezeichen da. Zu manchen Punkten habe ich mir die genaue Formulierung notiert, damit ich mich ja nicht verhasple. Wie sag ich eigentlich Hallo? Dutzen wir uns? Warum bin ich nur so aufgeregt? Gleich werden sich die anderen zuschalten. Wird sicher nicht mehr lange dauern. Es ist 10:03 Uhr. 

Ich hätte doch nochmal aufs Klo gehen können. Kurz vor zehn wollte ich das schon, entschied mich dann aber doch dagegen, weil ich als Telefonkonferenz-Neuling nicht die Letzte in der Leitung sein wollte. Ich bin sogar noch so neu in der Materie, dass ich "Telefonkonferenz" noch ganz ausspreche.

Das hab ich nun davon. Das Gespräch wird sicher eine gute halbe Stunde dauern. Wir haben einiges zu bereden. Jetzt häng ich in der Leitung fest. Ich beiße noch einmal von meinem Frühstücksbrot ab, das ich vor mittlerweile fünf Minuten ganz pflichtbewusst zur Seite gestellt hatte. Sicherheitshalber nehme ich nur einen ganz kleinen Happs, der sich schnell runterkauen lässt. Mit vollem Mund könnte ich auf die drei „Hallos“, die sich jede Sekunde an mich wenden könnten, nicht angemessen reagieren. Nach ein paar weiteren Durchgängen des Warteschleifen-Songs habe ich aufgegessen. Es ist 10:10 Uhr. Wie ich gerade bemerke, scheint die beruhigende Wirkung des Warteschleifen-Songs nach einer bestimmten Anzahl der Wiederholungen ins Gegenteil zu kippen. Den Wendepunkt habe ich wohl gerade erreicht.

Ich stelle das Telefon auf laut, lege es neben mich und schreibe meinem Auftraggeber, der auch mittelefonieren soll, eine Nachricht. Auch er lauscht seit geraumer Zeit dem eingängigen Song und wird mal beim Kunden nachhaken. Ein paar Momente später gibt es Klarheit. Ein Meeting, bezüglich unseres Auftrages und deshalb natürlich entschuldigt, hat die Pünktlichkeit der Telko verhindert. Ich werde asap zurückgerufen. Aha.

Zumindest kann ich endlich aufs Klo. Erleichtert, vom Klogang und vom verschobenen Termin, arbeite ich zunächst an etwas anderem weiter. Nagut, ich scrolle durch Twitter, aber nur weil ich mich inhaltlich nicht sofort in ein anderes Projekt stürzen, sondern erstmal abwarten will. Ich vermute zu diesem Zeitpunkt ja noch, dass sie gleich zurückrufen. Also quasi jede Minute. Als sich circa eine Stunde später der nächste Toilettengang ankündigt, bin ich erneut verunsichert. Kann ich jetzt gehen oder rufen die genau dann zurück? Was heißt denn asap für die? Reicht eine Stunde aus für was auch immer es da noch zu bereden gibt? Oder gibt’s danach noch ein anderes Meeting und dann Mittagspause und dann ist das halt as soon as possible? 

Den Gang zum Klo zögere ich natürlich hinaus und beschließe, den Tee-Konsum vorerst einzustellen. Jede Minute, die ohne Anruf vergeht, setzt mich gleichermaßen unter Druck und erhöht meine Risikobereitschaft. Ich könnte es schaffen. Um das Risiko, den Anruf zu verpassen, ein wenig einzugrenzen, nehme ich das Telefon mit zur Toilette. Ob ich den Anruf hier entgegen genommen hätte, ist noch mal eine ganz andere Frage. 

Ich fühle mich furchtbar eingeschränkt. Ich möchte plötzlich was kochen, einkaufen, sogar einfach nur spazieren gehen. Oder mit anderen Leuten telefonieren. Laut Musik hören. An was anderem Arbeiten. Einfach nur diesen Anruf abhaken...

Das Ende vom Lied? Sie haben irgendwann zurückgerufen, so gegen 16:00 Uhr und wir haben alles klären können, ohne Verhaspeln und peinliches Schweigen. Dieses Verschieben des Termins sei auch eine Ausnahme, aber sehr wichtig für die Zukunft des Projektes gewesen. Beim nächsten Mal wird das anders. Jaja, kein Problem. Ich glaube ihnen. Das Einzige, was mich beunruhigt ist, dass morgen unser neuer Geschirrspüler geliefert wird. Zwischen 12 und 17 Uhr.

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