21 and counting - oder: Und täglich grüßt der Mückenstich


Das hat man nun davon, wenn der Herbst so schön warm und golden ist. Es ist Anfang November und ich habe 21 Mückenstiche. Einundzwanzig. (Stand: 10.11.2014, 21:46) Echt erstaunlich, wie die Mücke allnächtlich mit ihrem Rüssel, durch Kleidung und Bettdecke hindurch, jedes Körperareal zu erreichen scheint. Anfangs war ich sehr skeptisch welcher Herkunft meine juckenden Bisse seien mögen. Zunächst vermutete ich Flöhe oder gar Bettwanzen, denn das Naheliegende war dann doch zu fern. Nicht mal im Sommer hatte ich so viel Mückenkontakt. Da waren es eher andere fliegende Kleinstlebewesen, mit denen ich flüchtige, aber prägnante Bekanntschaft machte.

Ich erinnere mich, wie ich nach zwei Wochen Sommerurlaub nichts ahnend erstmals wieder meine Küche betrat und feststellen musste, dass Zimmerdecke und Fenster von einer Herde dicker, ekliger Brummer okkupiert war. Hitchcock hätte hier das Sequel von "Die Vögel" drehen können. Einige der Fliegen schwebten in Zeitlupe dicht über dem Boden, andere saßen einfach nur da und rieben apathisch die Vorderbeine aneinander. Wahrscheinlich hatten sie seit Tagen versucht, den Raum durch die gläserne Wand zu verlassen, die mit ihrer Durchsichtigkeit Freiheit verspricht, aber hinterlistigerweise nicht hält. In geduckter Haltung und unter Äußerung einiger Ausdrücke des Ekels, öffnete ich das Fenster, um meine ungebetenen Gäste hinaus zu geleiten. Nach und nach erhoben sich die fetten Insekten in grün-metallic von ihrem Platz und schwirrten langsam nach draußen. Ein befreiendes Gefühl, für mich und mit Sicherheit auch für die Fliegen. Was machen die Fliegen wohl im Anschluss ihrer Befreiung? Kurven sie erstmal eine Weile rum und genießen es, länger als drei Sekunden geradeaus fliegen zu können, ohne irgendwo gegen zu stoßen? Oder steuern sie direkt das nächste geöffnete Fenster an, weil sie nichts und wieder nichts aus ihrem Fehler gelernt haben?

Schon mehrmals habe ich das erhabene Gefühl erleben dürfen, dass eine Fliege quasi auf mein Kommando aus dem Fenster fliegt. Da reicht ein klares Machtwort, eventuell unterstützt durch einen Fingerzeig auf das geöffnete Fenster und die Fliege steuert schnurgerade den Ausgang an. Als ich an einem dieser Tage nach einem derartigen Fliegenflüsterer-Erlebnis erfreut das Fenster schloss, konnte ich wenige Sekunden später beobachten, wie die Fliege mit gekonnter Linkskurve direkt durchs nächsten Fenster wieder hineinflog. Ich glaube sogar ein schelmisches Lächeln im Fliegengesicht erkannt zu haben. Als es mir anschließend nicht noch einmal glückte, den Zweiflügler hinaus zu dirigieren, auch nicht unter gutem Zureden oder Zuhilfenahme einer Zeitschrift, gab ich auf und entschied seine Anwesenheit zu dulden. Wie sich später herausstellen sollte, war die Fliege geblieben, um am Abend einem hitzigen Meeting beizuwohnen. Zumindest sah ich sie zu späterer Stunde mit allerlei Artgenossen unruhig unzählige Runden unter der Deckenlampe drehen.  

Im Spätsommer wurde die Küche von den kleineren, aber nicht minder ekligen Fruchtfliegen belagert. Nach längerer Google-Recherche, Tipps von Freunden und eigenen Erfahrungen, (niemals ein benutztes Weinglas über Nacht im Wohnzimmer stehen lassen) bastelte ich verschiedenste Fallen aus Gläsern und Trichtern, gefüllt mit Essig, Wein und Ananasscheiben, um die Plagegeister los zu werden. Ich kaufte sogar sogenanntes Fettkraut, welches mit Hilfe seiner klebrigen Blätter die Fruchtfliegen einfangen und dann bei lebendigem Leib verdauen sollte. Beide Methoden hatten leider nur bescheidenen Erfolg. An den Blättern kleben bis heute nur die irdischen Hüllen derer Fliegen, die beim Kauf der Pflanze inklusive waren. Nichts mit Verdauen. Ich befürchte, die Pflanze wurde im Baumarkt mit den toten Verkaufsargumenten präpariert. Clevere Marketingstrategie. Funktioniert.

Am Schlimmsten ist für mich jedoch das Aufeinandertreffen mit einem ganz bestimmten Insekt. Jetzt wo ich so darüber nachdenke, wird mir einiges klar. Es ist eine bestimmte Eigenschaft, die mich bei Tieren besonders verschreckt: Die Unkontrollierbarkeit. Das spiegelt sich nicht nur bei Insekten wider, sondern hat sich in der Vergangenheit bei Vögeln, Katzen oder auch Affen gezeigt. Auslöser meiner Angst ist ein gewisses Misstrauen. Meine ehemals beste Freundin hatte zu Grundschulzeiten einen Wellensittich. Der war meistens in seinem Käfig eingesperrt, doch wenn er mal frei durchs Zimmer fliegen durfte, wurde ich leicht panisch. Ich erinnere eine Situation, in der ich mich flach an den Schrank stellte, um in dieser Position vom Federvieh nicht als Landeplatz in Erwägung gezogen zu werden. Im Laufe mehrerer Monate gewöhnte ich mich an den Vogel und ließ ihn ab und zu sogar auf meinem Finger sitzen. Flog er jedoch plötzlich los, warf ich hastig die Arme über den Kopf, um dort ja nicht seine kralligen Beinchen zu spüren zu bekommen. Ähnliches passiert bei Katzen. Ich traue mich kaum einer Katze länger in die Augen zu schauen. Ich denke dann, dass ich das ohnehin vielleicht schon angesäuerte Tier noch mehr reize, sodass es mich in einem unbeobachteten Moment angespringt und zerkratzt. Vor ein paar Jahren war ich mit meiner Schwester und meinem Neffen im Zoo. Der Angst vor einem potentiellen Angriff noch nicht bewusst, ging ich in ein Affenhaus und während mein kleiner Neffe unbeschwert hindurchwatschelte, musste ich nach ein paar Schritten geduckt rennend auf schnellstem Wege das Gehege verlassen. Zu groß war die Angst aus dem Hinterhalt von einem wilden Äffchen attackiert zu werden. Die Insektenform dieser Unkontrollierbarkeit ist für mich nicht minder erschreckend, aber leider häufiger auftretend: die Motte. So manches Mal habe ich mein Badezimmer rückwärts wieder verlassen, weil darin ein scheinbar verrückt gewordener, schwarzer Falter unkoordiniert gegen die Wände batscht und dabei ein widerliches Geräusch verursacht. 

Mein Knie juckt. Es ist Tag 8 der gegenwärtigen Mückeninvasion: Die Anwesenheit des unsichtbaren Eindringlings hat mich psychisch zermürbt. Tagsüber würde ich mich gern ununterbrochen kratzen. Dicker Jeansstoff und knöchelhohe Stiefel erschweren dieses Unterfangen jedoch, sodass ich mich seit einiger Zeit in meditativer Juckreizunterdrückung versuche. Nur abends beim Einschlafen komme ich nur schwer zur Ruhe. Während ich meine Füße, die in extra rauen Socken stecken, aneinander rubbele, muss ich mir im Sekundentakt ein Phantominsekt aus dem Gesicht wischen und spüre förmlich eine Armee an Kleinstgetier in den Fasern meiner Bettwäsche. Überall juckt und kribbelt es. Dabei hat sich mir mein bissiger Feind noch nicht einmal gezeigt oder sein markantes, nervtötendes Geräusch von sich gegeben. Nur die Tatsache, dass ich morgens mit 3 bis 5 neuen juckenden Stellen aufwache, ist mein einziger Beweis dafür, dass die Mücke existieren muss.

Vor meinem inneren Auge sehe ich sie vor mir, wie sie allabendlich mit knurrendem Magen ausharrt, bis ich endlich eingeschlafen bin. Dann knotet sie sich ihr Lätzchen um und holt das gute Silberbesteck raus. Das Buffet ist eröffnet. Stets geht sie einer anderen kulinarischen Vorliebe nach, letzte Nacht scheint Knöchel besonders gut geschmeckt zu haben. Zum Nachtisch noch einen Happs aus der Daumenfalte. Und vom Fußaußenrand hat sie sich noch was eingetuppert, zum Aufwärmen morgen Mittag.

Seltsamerweise bedient sich die Mücke immer nur an meiner Fleischplatte und scheint dabei den großen Haufen stechbarer Haut neben mir im Bett gar nicht zu registrieren. Wobei mir dieses Verhalten gar nicht so fremd ist. Ich stelle mir am Buffet auch am liebsten ein stimmiges Menü zusammen, anstatt verschiedenste Geschmäcker auf den Teller zu schichten. Ich mag es nicht, wenn sich Saucen durchmischen oder Sauerkraut neben Rotkohl und Kartoffeln neben Gnocchi liegen. Vielleicht gibts bei Menschenblut auch einen großen, geschmacklichen Unterschied. Vielleicht habe ich mit meiner Mücke sogar was gemeinsam. Ich sollte ihr heute Nacht mal ein bisschen Abwechslung bieten, muss ja ganz schön öde sein, jede Nacht das Gleiche vorgesetzt zu bekommen. Ich werde das Buffet diesmal ein bisschen würzen, mit - wie heißt es noch gleich -  Autan! 

1 Kommentar :

  1. Ich kann dich zu gut verstehen.

    Ich wohne auf Land, mitten in einem Feld. Es ist schön ruhig hier und keiner stört einen. Außer die Insekten, die durch ein Biotop es immer irgendwie schaffen, in das Schlafzimmer zu gelangen. Bei Motten bin ich bei dir. Die Dinger finde ich einfach nur noch eklig. Bei anderen Insekten finde ich es nicht so schlimm, wenn sie da sind. Ein Buffet für Mücken war ich auch schon oft. Da ich gerne bei offenem Fenster schlafe, kommen die kleinen Pieksdinger an und schwirren mir immer um die Ohren, sodass ich nicht einschlafen kann. Ein paar Mal habe ich schon gemerkt, wie sie zupieken. Das ist kein schönes Gefühl.
    Ich mag das Landleben trotzdem.
    Schöne Grüße
    Lars

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