Shhhh...my legs just fell asleep - oder: Das rollende Wartezimmer




„Puh, da ist er ja.“, denke ich erleichtert, als ich den Fernbus kurz nach Verlassen des Berliner Ostbahnhofes entdecke. Meine schlimmste Befürchtung, den Bahnhof am falschen Ende zu verlassen und ihn einmal umrunden zu müssen, nur um nur noch die Rücklichter meines Busses zu entdecken, wird sich nicht erfüllen. 

Ich hole mein iPhone raus, lasse den QR-Code meines Tickets vom Busfahrer abscannen und gedenke mit leichter Melancholie meiner späteren Kinder, die wahrscheinlich nie verstehen werden, warum es einst Spaß machte, Schaffner zu spielen.

Ich bin überpünktlich. Trotzdem muss ich den schmalen Gang im Bus fast bis ganz nach hinten laufen, um noch einen freien Zweierplatz zu ergattern. Es wollen scheinbar doch mehr Leute an diesem Sonntagmittag nach Hamburg fahren, als ich vermutet hatte. Endlich kann ich meine gefütterte Jacke und den dicken Schal ablegen und breite mich mit meinem Rucksack und einem unhandlich großen Geschenk aus. Mit meinem Hantieren und Geraschel störe ich die Stille, die sich bereits zwischen den wartenden Mitfahrern gebildet hat. Zu guter Letzt fällt mein Lippenpflegestift runter und rollt ein paar Reihen nach vorne. Ächzend hebe ich ihn auf, dann gebe ich endlich Ruhe, schwitze leise vor mich hin und warte, dass der Bus los fährt. Noch 15 Minuten. 

Niemand spricht. Zumindest nicht miteinander. Durch unterschiedlichste Klingeltöne kündigen sich Anrufe an, die von unterschiedlichsten Menschen auf unterschiedlichsten Sprachen beantwortet werden. Für letztere bin ich gerade sehr dankbar, sähe ich mich ansonsten doch nahezu gezwungen die fremden Gespräche mitzuhören. 

Ein junges Mädchen steigt in den Bus und schaut sich um. Ich vermute es ist kein Zweier mehr frei. Ich schaue demonstrativ aus dem Fenster, doch sie spricht mich an: „Ist hier noch frei?“ Ich schaue auf meine Jacke, meinen Rucksack und das große Geschenk, die neben mir sitzen. Eigentlich nicht, aber ich fange trotzdem an zu wühlen. Ein paar Minuten später ist mein Hab und Gut im Fußraum verstaut und unsere Beine für die nächsten 3 1/2h außer Gefecht gesetzt. Schade, die Fahrt hätte so schön entspannt werden können. Aber ich nehm das mal als Kompliment, dass meine neue Sitznachbarin von all den Menschen im Bus am ehesten neben mir sitzen wollte.  

Als der Bus sich endlich in Bewegung setzt und damit auch die Klimaanlage, habe ich den kurzen Impuls zu klatschen, kann ihm aber dann doch widerstehen. Es geht los. Ab jetzt warten dreißig Fremde schweigend darauf, dass wir nach Hamburg gebracht werden. Ein sonores Motorengeräusch durchdringt die unangenehme Stille und macht die Atmosphäre gleich viel angenehmer in unseren rollenden Wartezimmer. Einziger Unterschied zu einem Ärzte-Wartezimmer, beginne ich zu philosophieren, ist, dass dort die Leute nicht einfach so wegnicken. Würde man im Bus wahrscheinlich auch nicht machen, wenn man theoretisch jeden Moment ankommen könnte. 

Draußen ziehen schöne Landschaften vorbei. Der Himmel hat tolle Wolken gemalt, Bob Ross wäre stolz. Die Sonne scheint rein  und wärmt mir meine Ohrenschmerzen weg. Ein Symptom der Erkältung, die ich seit einer Woche mit Aspirin Complex hinauszögere. Ich hoffe, dass mir das nach dieser Fahrt weiterhin gelingt. Hier wird viel geniest, aber nicht „Gesundheit“ gesagt. Die Frau hinter mir scheint schon seit geraumer Zeit ihren Hustenanfall nicht unter Kontrolle zu bekommen. Das hört sich gar nicht gut an. Liegt wahrscheinlich auch daran, dass im Husten gute 30 Jahre Kettenrauchen mitrasseln. Ihrem Alter nach zu urteilen, können es gut und gerne auch 50 Jahre sein. Damit kann sie mich beim besten Willen nicht anstecken, da kann sie mir noch so viel in den Nacken husten. Scheinbar mag sie den Versuch aber nicht aufgeben und hüstelt die gesamte Fahrt vor sich hin.

Meine Vorderfrau hat ihren Sitz nach hinten gestellt. Jetzt könnte nur noch ein Artist des Cirque de Soleil mein Buch aus dem Rucksack holen. Gut, dann wird halt doch nicht gelesen. Mein ganzer Unterkörper steht kurz vor einer Mischung aus Verkrampfen und Einschlafen. Meine Sitznachbarin schnarcht auch schon leise vor sich hin,…dachte ich zumindest bis eben, bevor ich zu ihr rüber linste. Sie atmet also laut vor sich hin, immer noch in derselben Position, in die sie sich vor 2 ½ Stunden begeben hat. Vielleicht sind es auch ihre Beine, die ich schnarchen höre. 

Aus den schönen Landschaften wird Hamburg. Pünktlich auf die Minute halten wir am ZOB. Die meisten meiner Mitfahrer sind schon fast ausgestiegen, als der Bus zum Stehen kommt. Auch meine Sitznachbarin hat sich schnell aus ihrer Starre lösen können.

Ich hingegen muss mit Händen nachhelfen, um die trägen Beine aus ihrem Gefängnis zu befreien. Sie wollen gern weiter schlafen. "Noch 5 Minuten", betteln sie mich an. Sogar der Hintern, den sie sonst eigentlich immer überall hin tragen, ist eingeschlummert und möchte das auch nur ungern ändern. Unter lauten Anstrengungen und stillem Protest kann ich meinen tauben Unterkörper aus dem Bus manövrieren und stakse wie ein Flamingo davon. 

Wie bei einem echten Wartezimmer, ist es doch immer am schönsten, wenn man endlich (dr)ankommt. 






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