Please hold the line – oder: Es dudelt immer noch



Es ist 10:00 Uhr und ich bin zu meiner ersten Telefonkonferenz verabredet. Zu viert. Herrje, und dabei telefoniere ich doch nicht mal gerne mit einer Person. Ganz besonders, wenn ich die Person nicht kenne. Natürlich bin ich überpünktlich in der Leitung, möchte bei meinen Kunden ja keinen schlechten, ersten Eindruck hinterlassen. Ich lausche einer Warteschleifen-Musik. Wenn ich das richtig verstanden habe, wird die Leitung erst freigeschaltet, wenn die Initiatoren, in diesem Fall die beiden Kundinnen, akustisch anwesend sind. Gebannt höre ich genau hin und erwarte jede Sekunde ein leises Knacken, gefolgt von der Begrüßung meiner Gesprächspartner. Aber erstmal dudelt die Musik weiter. Sie wiederholt sich momentan zum dritten Mal. Eigentlich angenehm beruhigend.

Ich gehe nochmal meine Notizen durch, die ich zum ersten Briefing gemacht habe und die nun fein säuberlich vor mir liegen. Große Fragezeichen hier, einige Ausrufezeichen da. Zu manchen Punkten habe ich mir die genaue Formulierung notiert, damit ich mich ja nicht verhasple. Wie sag ich eigentlich Hallo? Dutzen wir uns? Warum bin ich nur so aufgeregt? Gleich werden sich die anderen zuschalten. Wird sicher nicht mehr lange dauern. Es ist 10:03 Uhr. 

Ich hätte doch nochmal aufs Klo gehen können. Kurz vor zehn wollte ich das schon, entschied mich dann aber doch dagegen, weil ich als Telefonkonferenz-Neuling nicht die Letzte in der Leitung sein wollte. Ich bin sogar noch so neu in der Materie, dass ich "Telefonkonferenz" noch ganz ausspreche.

Das hab ich nun davon. Das Gespräch wird sicher eine gute halbe Stunde dauern. Wir haben einiges zu bereden. Jetzt häng ich in der Leitung fest. Ich beiße noch einmal von meinem Frühstücksbrot ab, das ich vor mittlerweile fünf Minuten ganz pflichtbewusst zur Seite gestellt hatte. Sicherheitshalber nehme ich nur einen ganz kleinen Happs, der sich schnell runterkauen lässt. Mit vollem Mund könnte ich auf die drei „Hallos“, die sich jede Sekunde an mich wenden könnten, nicht angemessen reagieren. Nach ein paar weiteren Durchgängen des Warteschleifen-Songs habe ich aufgegessen. Es ist 10:10 Uhr. Wie ich gerade bemerke, scheint die beruhigende Wirkung des Warteschleifen-Songs nach einer bestimmten Anzahl der Wiederholungen ins Gegenteil zu kippen. Den Wendepunkt habe ich wohl gerade erreicht.

Ich stelle das Telefon auf laut, lege es neben mich und schreibe meinem Auftraggeber, der auch mittelefonieren soll, eine Nachricht. Auch er lauscht seit geraumer Zeit dem eingängigen Song und wird mal beim Kunden nachhaken. Ein paar Momente später gibt es Klarheit. Ein Meeting, bezüglich unseres Auftrages und deshalb natürlich entschuldigt, hat die Pünktlichkeit der Telko verhindert. Ich werde asap zurückgerufen. Aha.

Zumindest kann ich endlich aufs Klo. Erleichtert, vom Klogang und vom verschobenen Termin, arbeite ich zunächst an etwas anderem weiter. Nagut, ich scrolle durch Twitter, aber nur weil ich mich inhaltlich nicht sofort in ein anderes Projekt stürzen, sondern erstmal abwarten will. Ich vermute zu diesem Zeitpunkt ja noch, dass sie gleich zurückrufen. Also quasi jede Minute. Als sich circa eine Stunde später der nächste Toilettengang ankündigt, bin ich erneut verunsichert. Kann ich jetzt gehen oder rufen die genau dann zurück? Was heißt denn asap für die? Reicht eine Stunde aus für was auch immer es da noch zu bereden gibt? Oder gibt’s danach noch ein anderes Meeting und dann Mittagspause und dann ist das halt as soon as possible? 

Den Gang zum Klo zögere ich natürlich hinaus und beschließe, den Tee-Konsum vorerst einzustellen. Jede Minute, die ohne Anruf vergeht, setzt mich gleichermaßen unter Druck und erhöht meine Risikobereitschaft. Ich könnte es schaffen. Um das Risiko, den Anruf zu verpassen, ein wenig einzugrenzen, nehme ich das Telefon mit zur Toilette. Ob ich den Anruf hier entgegen genommen hätte, ist noch mal eine ganz andere Frage. 

Ich fühle mich furchtbar eingeschränkt. Ich möchte plötzlich was kochen, einkaufen, sogar einfach nur spazieren gehen. Oder mit anderen Leuten telefonieren. Laut Musik hören. An was anderem Arbeiten. Einfach nur diesen Anruf abhaken...

Das Ende vom Lied? Sie haben irgendwann zurückgerufen, so gegen 16:00 Uhr und wir haben alles klären können, ohne Verhaspeln und peinliches Schweigen. Dieses Verschieben des Termins sei auch eine Ausnahme, aber sehr wichtig für die Zukunft des Projektes gewesen. Beim nächsten Mal wird das anders. Jaja, kein Problem. Ich glaube ihnen. Das Einzige, was mich beunruhigt ist, dass morgen unser neuer Geschirrspüler geliefert wird. Zwischen 12 und 17 Uhr.

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