Say Yes To The Dress - oder: doch lieber zur Katze im Sack



Als Kind wickelte ich mich gern in die bodenlangen Gardinen vom Wohnzimmerfenster und schritt bedächtig mit dem Vorhang auf dem Kopf zum imaginären Altar bis der Schleier weg und meine Haare elektrisch aufgeladen waren. Im November letzten Jahres wollte ich aus dem Vorhang ein echtes Kleid machen und begab mich in einen Laden für Brautmoden. Neun Monate vor der Hochzeit - ich weiß, ein furchtbar knappes Zeitfenster, das sollte ich noch ein paar Mal zu hören bekommen.

(Diese hanebüchenen Lieferzeiten von 6 Monaten, der Reservierungsvorlauf von Locations von circa 2 Jahren und der ach so schnell wechselnde Goldpreis als Druckmittel sich gefälligst schnell und überstürzt für das Kleid, das Restaurant und die Ringe entscheiden zu müssen, sind wahrscheinlich einen ganz eigenen Blogpost wert)

Nicht ohne einen Termin zu vereinbaren, betraten wir an diesem kalten Freitagvormittag ein Brautmodengeschäft in Berlin-Tegel. Begleitet wurde ich von meiner Schwester, einer gewissen Vorfreude, aber auch von einer Prise Vorwissen, dass ich heute kein Kleid für mich finden würde. Zumindest keines, was sich mit meinem Gewissen vereinbaren ließe. Mit einem Gläschen Sekt in der Hand durchforstete ich das Dickicht aus weißem Tüll und Spitze und pflückte mir fünf Kleider von der Stange, bei denen mir Rückenausschnitt, Träger, Spitzenbesatz, Rockteil oder Material gefielen - jeweils.

Ich stecke fest

 

In einem kleinen Separee reichte man mir einen Reifrock, der als Basis für all meine auserwählten Kleider dienen sollte. Als erstes nahm meine persönliche Anziehhilfe meinen Favoriten vom Bügel und hielt ihn mir zum Eintauchen hin. Ich machte einen Kopfsprung in diesen Kindheitstraum aus Tüll und verwandelte mich - wie von Zauberhand - in eine Prinzessin. Schon erstaunlich was so ein Kleid aus meinem winterblassen Leib machen konnte. Ein Schleier tat sein Übriges und ich hatte meinen kleinen, brautigen Oho-Effekt. Ich betrachtete mich eine Weile im Spiegel. Im Film stehen die werdenden Bräute immer auf einem mit weißem Teppich ummantelten Podest, drehen und bestaunen sich von allen Seiten. Mein Podest war ein rosa Tritthöckerchen mit Disney-Prinzessinnen-Aufdruck, auf das man kleine Mädchen stellt, damit sie beim Zähneputzen besser ans Waschbecken reichen. Das Plastik-Höckerchen und die schwere Last aus circa 16 Lagen Stoff, die mittlerweile an mir zogen, holten mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Die Frage nach dem Preis ohrfeigte mich gänzlich zurück in die Realität. 1100 Euro sollte die Robe kosten - mindestens die Hälfte davon ging auf den strassbesetzten Gürtel zurück, den ich in meiner gedanklichen Umänderung bereits mit einem schlichten, grauen Band ersetzt hatte. Noch dazu hielt das Kleid dem Realitätscheck Nummer 2 nicht Stand, hätte es doch, um bei der Trauung am Strand von Malibu dabei sein zu können, im Flugzeug seinen eigenen Sitzplatz benötigt. Und auch das Tanzen oder gar das bloße Herumlaufen bei der später folgenden Feier in Deutschland, wäre nach einigen Stunden ein echtes Workout geworden. Nicht auszumalen, wie man in dem Ding aufs Klo gehen sollte. Nachdem meine Schwester noch ein paar Abschiedsfotos gemacht hatte, entstieg ich dem Wattebausch und verabschiedete mich von diesem Traum in Weiß. 

Die Brautkleid-Beraterin hatte währenddessen bereits das nächste Modell zum Anziehen entschnürt und ich bereitete meinen zweiten Tauchgang vor. Leider hatte sie den Entknotungsgrad verschätzt und ich blieb auf halber Strecke mit den Armen in der Luft im Kleid stecken. Die Beraterin tat ihr Bestes, mich schnellstmöglich aus meiner misslichen Lage zu befreien und schnürte sich die Finger wund. Ein Malheur, was an diesem Tag noch einmal geschehen sollte und kichernd fotografisch festgehalten wurde. Trotz aller Bemühungen und Widrigkeiten kamen die nachfolgenden Modelle nicht an das erste heran. Und selbst dieses war zwar ein wunderschönes Kleid für eine Prinzessinen-Mottoparty, aber ganz nüchtern betrachtet nichts für meine Hochzeit. Nichtsdestotrotz war am Ende dieses circa einstündigen Besuchs mein Handyakku leer fotografiert und mein Kleinmädchen-Wunschtraum, einmal ein Sahnebaiser zu sein, vorerst gestillt.
Sahnebaiser vs. Reality

Was soll ich bloß anziehen? 

 

So lange ich denken kann, wollte ich bei meiner Hochzeit etwas so Bauschiges tragen, dass ich mich bedenkenlos hätte auf den Hintern fallen lassen können, ohne mir dabei das Steißbein zu prellen. Jetzt, wo das Ganze aber langsam real wurde, ließ ich diese Seifenblase selbst zerplatzen und verbrachte die folgenden Wochen damit, eine neue Vision von dem zusammen zu pinnen, was ich am Tag der Tage tragen wollte. Ein Kleid schaffte es immer wieder aufs Neue meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Immer wieder besuchte ich es auf seiner Website, traute mich aber nicht, es zu mir nach Hause einzuladen. Es war mittlerweile März und meine Lust nochmal ein Brautmodengeschäft zu betreten gleich null. Laut Aussage aller Hochzeitsmessen-Aussteller war es jetzt auch schon viel zu spät überhaupt noch an die pünktliche Anschaffung eines Kleides in diesem Sommer zu denken. 

Aus einem optimistischen Impuls heraus beschloss ich, das Risiko einzugehen und die Katze im Sack zu bestellen. Ich orderte zu diesem Bandeau-Brautkleid zusätzliche Träger und einen seitlichen Schlitz. Nach circa 4 Wochen zeigte die Sendungsverfolgung, dass das Kleid seine chinesische Heimat verlassen hatte und ich begann wie besessen das Paket stündlich zu tracken. Endlich bekam ich die Mitteilung, dass das Paket zugestellt wurde - leider bei meinem Nachbarn, der dummerweise nicht zu Hause war - sodass ich noch eine weitere Nacht warten musste, um zu erfahren, ob ich absoluten Müll oder vielleicht doch mein Hochzeitskleid bestellt hatte. 

Nach anfänglichen Startschwierigkeiten (Reißverschluss am Rücken alleine zu zu machen), der Erkenntnis, dass das Kleid ohne Träger doch viel besser aussieht und der Feststellung, dass da seitlich kein Schlitz gemacht wurde, freundeten das Kleid und ich uns an und sahen uns von nun an häufiger. Meinem Plan, für die Hochzeit ein paar Pfunde purzeln zu lassen, wurde mittendrin jäh ein Ende gesetzt, als ich bei einer wiederholten Anprobe bemerkte, dass das Kleid obenrum recht locker saß, insbesondere, da ich die Träger wieder entfernen lassen hatte. Beim Einatmen, also mit geschwelltem Brustkorb, saß es jedoch perfekt. Nachdem ich einige Tage hin und her gegrübelt, verschiedenen Änderungsschneidereien konsultiert und auch schon mit dem Gedanken gespielt hatte, das Kleid nochmal neu, nur in kleiner, zu bestellen, kam ich letztendlich doch zu dem Schluss, dass die einfachste und günstigste Lösung, die richtige Atemtechnik war. Ich war mittlerweile wirklich sehr genügsam geworden. Im Nachhinein ärgere ich mich höchstens darüber, dass ich die Technik nicht durchgängig angewandt habe und sich das Kleid auf manchen Fotos obenrum recht atmungsaktiv zeigt.
 Aber mit einem Kleid, was nicht das Doppelte, sondern vielleicht gerade mal ein Drittel meiner Monatsmiete kostete, war es dann gar nicht so schlimm, dass es bei der Trauung dank einer Welle nass wurde und ich zunächst unfreiwillig und später "Ach-scheiß-drauf"-freiwillig bis zum Knie im Wasser stand. Letztendlich war mir nicht mehr wichtig wie ich heiratete, sondern wen. Und für die Feier im nächsten Jahr stöbere ich liebend gern nochmal im Internet.

Foto: Armen Sarvar

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