Was
ist denn jetzt schon wieder? Hat es vielleicht Hunger? Oder schon wieder die
Windeln voll? Es schreit und plärrt und quäkt und ich bin völlig überfragt. Und
auch wenn ich wüsste, was zu tun ist, ich kann und werde nichts gegen das Brüllen
des Babys ausrichten können. Ich bin schließlich nur die Nachbarin auf der
anderen Seite einer scheinbar doch sehr dünnen Wand. Alles was ich tun kann,
ist die Musik lauter zu drehen.
Seit
dreieinhalb Jahren wohne ich in meiner jetzigen Wohnung in einem 9-Parteienhaus.
Gleich an meinem ersten Tag performte der Nachbar von unten den obligatorischen
Besen-Decke-Gruß und hieß mich herzlich Willkommen, während ich versuchte
meinen neu erstandenen Badezimmerschrank zusammen zu bauen. Vielleicht grüß ich
demnächst mal zurück, sobald die Birke, die aus seinem Blumenkasten wächst,
meinen Balkon erreicht hat. Lange kann es nicht mehr dauern.
Ich höre was, was ich nicht seh
Die
Wohnung ist sehr hellhörig, war das also schon mal direkt von Anfang an
geklärt. Ohne es unbedingt zu wollen, hat sich dank der verschiedenartigen Geräusche,
die durch die Wand zu mir dringen, in meinem Kopf ein ungefähres Bild der
Wohnzimmerwand-Nachbarsfamilie formen können. Seit circa zweieinhalb Jahren
besitzt das vermutlich junge Paar einen Hund, den sie anfangs oft alleine
lassen mussten. Seinem endlosen Jaulen nach zu urteilen schien ihm das weniger
gut zu gefallen. Nach einer hartnäckigen Erkältung im letzten Winter, bei der
ich mich schon fast zusammenreißen musste, nicht doch mal ein „Gesundheit!“
durch die Wand zu rufen, entschieden die beiden wohl den nächsten großen
Schritt zu gehen und eine Familie zu gründen. Vor zwei Monaten trat nun das kleine,
süße Schrei-Baby in unser Leben. Den Hund hört man nur noch selten bellen, wahrscheinlich
weil Dank des Babys jetzt immer jemand zu Hause ist.
Genauso,
wie ich sie höre, hören sie sicherlich auch mich und mokieren sich abends auf
dem Sofa: „Jetzt tippt die wieder so laut.“ Die können froh sein, dass sie Anfang
des Jahres nicht Ohrenzeuge meiner neverending Bronchitis werden mussten. Die
war einzig den Schlafzimmerwand-Nachbarn vorbehalten. Um der Dicke der Wände
bewusst, schlich sich bei mir nach einer Woche Dauerhusten langsam ein
schlechtes Gewissen ein. Die Nachbarn waren mit Sicherheit ähnlich erfreut wie
ich, als mein Husten sich allmählich lockerte und langsam abklang. Naja, jetzt
sind wir quitt. Ich bin schließlich auch schon des Öfteren durch das Klingeln
ihres Nachtschicht-Weckers aufgewacht. Und das wäre nicht mal das Schlimmste.
Schlafzimmerwand-Nachbarn sind nochmal eine ganz andere Liga.
Wie
gesagt, wir sind quitt.
Anonym in Berlin
Ich
wuchs in einer Kleinstadt auf. In meiner Kindheit kannte ich die Anwohner der
ganzen Straße beim Namen. In Berlin lebt man anonym. Und eigentlich bin ich
ganz froh darüber, dass ich nicht weiß, wer hinter dem wandgefilterten Niesen,
Quäken und Stöhnen steckt. Ich bin froh, dass ich keinen aufgesetzten Smalltalk
halten muss, wenn ich ein beim Nachbarn abgegebenes Paket abhole. Ich bin froh,
dass ich nicht immer wieder dem Nachbarn von gegenüber winken muss, nur weil
wir uns irgendwie kennen. Weil wir in derselben Straßen wohnen. Weil wir uns
oft sehen.
So
ein Kandidat wäre zum Beispiel der Mann von gegenüber oder wie ich ihn nenne:
Der Mann im orangenen Pullover. Mehrmals am Tag geht er auf den Balkon, um zu
rauchen. Dabei zieht er jedes Mal seinen wohl extra dafür vorgesehenen, orangenen
Rauch-Pullover an. Wenn ich die Wäsche aufhänge, die Rollläden runter lasse
oder einfach nur mal Luft schnappen will - er ist da. Man kann schon behaupten,
wir sehen uns täglich und dennoch bezweifle ich, dass ich ihn, zufällig beim
Einkaufen getroffen, erkennen würde. Es sei denn er trägt einen orangenen
Pullover und einen Balkon vor sich her.
Same Same, but...Same
Während ich meinen Hitchcock'schen Blick über die Nachbarn von gegenüber streifen ließ, ist mir vor einiger Zeit etwas Interessantes aufgefallen. Zum einen, dass viele
Menschen heutzutage auf Vorhänge oder Gardinen verzichten. Zum anderen, dass
die Nachbarn von gegenüber einen sehr ähnlichen Einrichtungsgeschmack haben.
Besonders abends kann man gut erkennen, dass das junge Paar von ganz oben und
das wahrscheinlich ebenso junge Paar aus der Etage darunter, exakt das gleiche
Bild an exakt derselben Stelle hängen haben. Nicht nur ein Bild. Es ist Das. Gleiche.
Bild. Man könnte meinen, dass sei ein unheimlich großer Zufall. Andere sagen,
es ist Schicksal. Oder das Shining?! Aber ehrlich gesagt, nein.
Es
ist Ikea.