Mein Internet
bewegt sich heute auf einem Geschwindigkeitsniveau von 2001. Eine Zeit, in der
ich meine Abende mit der neuen Freizeitbeschäftigung „chatten“ verbrachte und
in der man zwischen dem Klick auf den Enter-Button und dem Öffnen des
Chatfensters genug Zeit hatte, nochmal aufs Klo zu gehen.
Ich googelte
damals noch mit lycos und fragte den Babelfish nach Übersetzungen. Wenn man
irgendwo hin wollte, druckte man sich bei falk.de einen
Routenplan aus und folgte den Anweisungen. Heute bin ich unterwegs ohne mein
internetfähiges Handy (und ohne ausgedruckten Routenplan) nahezu
aufgeschmissen. In letzter Zeit beschließt mein iPhone sich auch schon mal bei
17% Restakku zu verabschieden. Vor kurzem geschah dies mitten in Pankow. Ich
hatte gerade eine Freundin in einer mir weniger bekannten Gegend besucht und machte
mich auf dem Heimweg, für den ich zuerst Bus und dann S-Bahn benötigte. Aber:
Wann kommt der Bus? Ohne Fahrplan-App gibt es für die Beantwortung dieser Frage
glücklicherweise den Aushang des Busfahrplans an der Bushaltestelle. Ich
erfuhr, dass der Bus immer 1, 21 und 41 kommt. Jetzt die banalere Frage: Wie
spät ist es? Seit mehreren Jahren verlasse ich mich ausschließlich auf mein
Handy, wenn es um die Uhrzeit geht. Auf den Bus warten, wenn man nicht weiß,
wann er so ungefähr kommt, ist eine semi-spaßige Lotterie. Ich befürchtete nach
wenigen Minuten bereits hunderte von Textnachrichten oder eine weltbewegendes
Ereignis verpasst zu haben und verspürte den Drang jemanden per Whatsapp über
meine missliche Lage in Kenntnis zu setzen. All meine Gedanken kreisten um
Dinge, die mir nur mein ausgegangenes iPhone hätte erfüllen können. Das
erinnerte mich an die Momente, in denen man bei einem Stromausfall - wissend, dass man nicht
Fernsehen kann - vorschlägt, dann doch einfach eine DVD zu schauen.
Auch jetzt ist
das Wörtchen „Senden“ in Whatsapp ausgegraut und vor meinen
Snapchat-Nachrichten dreht sich der Ladebalken seit Unendlichkeiten im Kreis. Da
ich mich also nicht, wie geplant, ziellos durchs Internet klicken kann, meine Apps so keinen Spaß machen und auch
netflixen keine Option ist, lese ich zunächst einmal ein Buch. In diesem Falle
allerdings eine Verzweiflungstat, da es sich um den Titel „Orange is the new
Black“ handelt und das Lesen somit den Versuch eines warmen Entzugs nach
gestriger Beendigung der dritten Staffel darstellt.
Ich weiß gar nicht, ob ich froh sein oder mich ärgern sollte, dass meine Schulzeit bereits beendet war, bevor das Internet und Smartphones ihre extreme Entwicklung voranschreiten ließen. Vielleicht hätte eine Mathe-App meine vielen
Nachhilfestunden ersetzen können. Vielleicht hätten YouTube-Erklär-Videos meine
naturwissenschaftliche Insuffizienz heilen und mir damit besser durch die
Schulzeit helfen können, als so manches Lehrbuch. Ich bin dann aber doch ziemlich
sicher, dass mich die neue Technik eher abgelenkt, als das sie mir geholfen
hätte. Meine einzige Ablenkung war damals nur das nachmittägliche
Fernsehprogramm, bei dem ich zumindest bei der Werbung einen Anstoß fand für die
nächsten sieben Minuten konzentriert weiter zu arbeiten. Bei YouTube kann man die
Werbung nach fünf Sekunden wegklicken. Und wie sehr man sich auch anstrengt,
nach circa drei Lehrvideos, kann man nicht widerstehen, kurz mal (alle) „ThankYou-Notes“ von Jimmy
Fallon anzuschauen, nur um wenige Klicks später in den Tiefen von YouTube zu versinken.
Ehe man sich versieht ist es zwei Stunden später und man kommt langsam wieder zu sich, während sich auf dem Bildschirm jemand in einem siebenminütigen Video seine zehn Jahre alten Dreadlocks rausbürstet.
Meine
zukünftigen Kinder werden mich mit krauser Stirn anschauen, wenn ich ihnen zu
erklären versuche, dass ich zu meiner Zeit sechs verschiedene Geräte mit in den
Urlaub nehmen musste, um zu telefonieren, zu fotografieren, zu navigieren, zu
filmen, Musik zu hören und Tetris zu spielen. Heutigen Kindern ist vielleicht
weder Tetris ein Begriff, noch erschließt sich ihnen der Zusammenhang, warum es
Telefon „abnehmen“ und „auflegen“ heißt, slided man heute doch eher einen Anruf
entgegen oder drückt einen virtuellen, grünen Knopf. Gott sei Dank hat es sich
ja größtenteils wieder eingebürgert, dass Telefone wieder „klingeln“. Ab
und zu dröhnt in der S-Bahn jedoch immer noch eine übersteuerte Version von
„Atemlos“ los und eine Frau Mitte 40 beginnt plötzlich hastig in ihrer Tasche
zu kramen.
Mittlerweile
hat mein Internet wieder Normalgeschwindigkeit erreicht. Zur Lösung des
Problems habe ich den Router mehrmals an- und wieder ausgeschaltet. Dennoch wage ich es zu bezweifeln, dass dies wirklich den Fehler behoben hat. Ich les noch schnell das Kapitel zu Ende und google dann mal, was eigentlich aus lycos geworden ist.