German Horror Story - oder: Eiskalte Riesenpranke


Horror-Filme haben mich sehr geprägt. Von meinen frühen Teenager-Jahren bis zur Volljährigkeit habe ich den Horror-Film-Boom mit großem Spaß an der Freude mitgemacht. Ich habe sie alle drölf Mal gesehen: "Scream" 1-3, "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast" 1 und 2, "The Ring" 1 und 2 und all die zahllosen anderen Filme mit blassen Kindern in den Hauptrollen. Das machte mir in dieser Zeit nichts aus. Davor und danach allerdings umso mehr.

Mehrere Jahre meiner Kindheit schlief ich mit offener Tür zum erleuchteten Wohnzimmer. Alles begann eines Abends im Jahre 1990. Ich war 5 Jahre alt und lag bereits im Bett, da ertönten aus dem Wohnzimmer mir bekannte Klänge: "It's close to midnight and something evil's lurking in the daa-aark." Meine Schwester und ich tippelten ins Wohnzimmer und sahen auf dem Röhrenfernseher mindestens zwanzig Zombies, die perfekt choreographiert ihren Gräbern entstiegen. Einem fiel dabei sogar der Arm ab. Dieser Anblick hat mich wohl zutiefst beeindruckt, sodass ich mich noch heute sehr gut daran erinnern kann und anschließend ein ziemlich großer Michael Jackson-Fan wurde.

Mit meiner Angst vor Geistern und Gespenstern wuchs simultan auch eine gewisse Begeisterung für sie. Ich konnte das Thema also nicht einfach aus meinem Weltbild verbannen und nicht mehr daran denken. Eher entstand in mir ein Perpetuum mobile, in welchem sich die Furcht und Faszination fürs Übersinnliche, immer wieder gegenseitig befeuern. 

Mein Vater besaß damals (heute besitze ich sie bezeichnenderweise) die Buchreihe "Die Welt des Unerklärlichen", bestehend aus 10 kleinen Büchern über Ufos, Geister und andere rätselhafte Phänomene. Immer wieder machte ich den Fehler und stibitze heimlich eines der Bücher, um darin zu blättern. Allein die Bilder bereiteten mir Albträume, und die waren es hauptsächlich, die ich mir anschaute. Nicht auszudenken, ich hätte damals auch den erklärenden Text drum herum gelesen. Wahrscheinlich hätte dann das Schlafen bei Licht nicht mehr ausgereicht und ich hätte meine Nächte von nun an in der Ritze zwischen meinen Eltern im Ehebett verbracht. 


Weihnachten 1998 bekam ich das aktuelle Guinness-Buch der Rekorde geschenkt. Die Seiten mit den Rekorden, die Menschen aufgrund ihrer körperlichen Veranlagung oder Fähigkeiten aufgestellt hatten, interessierten mich am meisten. Wenn Schrift pro Lesevorgang immer mehr verblassen würde, stünde auf diesen Seiten schon lange nichts mehr. Besonders ein Mann und sein Rekord hatten es mir angetan - sowohl im positiven, als auch negativen Sinne:

Robert Wadlow war der größte Mann der Welt. Er starb im Jahr 1940 im Alter von 22 Jahren und mit einer Körpergröße von 2,72m. Auf Abbildungen neben seinem rekordbringenden Eckdaten sah man ihn neben normalgroßen Menschen stehen und ich konnte nicht umher, ihn mir in allen möglichen und für ihn unmöglichen Situationen auszumalen. Was muss der für ein riesiges Bett gehabt haben? Wie hoch hing sein Klo und wenn es ein normales war, wie saß er darauf? Das, woran wir gerade alle denken, habe ich mir natürlich nicht vorgestellt, sondern hoffte für die damaligen Frauen in seiner Umgebung, dass er bis zum Ende seiner Tage Jungfrau blieb. 
Diese alten Schwarzweiß-Aufnahmen und sein sonderbares Aussehen, gepaart mit meinem ausgeprägten "Übersinn", machten den Gruselfaktor perfekt. Von nun an, ließ mich die Vorstellung, Robert Wadlows Geist würde mich zu nachtschlafender Stunde besuchen, nicht mehr los und mich bei jedem kleinen Geräusch in meinem Zimmer aufschrecken. Die Tatsache, dass ich damals in einem Hochbett circa 3 Meter über dem Boden schlief, macht diese Vorstellung eigentlich nur noch schlimmer. Auf Zehenspitzen wäre es Robert wahrscheinlich tatsächlich gut möglich gewesen, mir posthum mit seiner Riesenhand die Decke wegzuziehen.


Robert Wadlow ist der Dritte von rechts. 

Heute, mit fast 30, bedient sich meine blühende Fantasie an einem Potpourri aus Filmen und Serien jedweden Genres, tagesaktuellen Ereignissen und banalem Schwachsinn. 

Wenn ich an einem ganz normalen Tag über die Stufen der U-Bahn den Alexanderplatz betrete, entsteht in meinem Kopf die Exposition eines Action-Dramas. Szenenartig sehe ich lachende Touristengruppen, Kinderwagen schiebende Frauen und Teenager mit Einkaufstüten, die aufgedreht gestikulieren. Bestenfalls spielt ein Straßenmusiker eine fröhliche, wenngleich unschuldige Hintergrundmusik. Im Film würde jeden Moment eine Bombe hochgehen, ein Amokläufer um sich schießen oder ein Flugzeug in die Szenerie krachen. Das alles passiert in meinem Kopfkino und ich merke mir schon mal die Gesichter der Leute, mit denen ich die nächsten 90 Minuten, irgendwo eingeklemmt/eingesperrt/versteckt um mein Leben hoffen und bangen muss. Im echten Leben gehe ich einfach an den vielen Komparsen vorbei, verschwinde in der Galeria Kaufhof und kaufe überteuertes Make-up (was aber leider so gut ist, dass ich es immer wieder nachkaufe).

Im Alltag zeigen sich diese "Was wäre wenn?"- Visionen gleich am Morgen auf dem Weg zur Arbeit. "Was wäre wenn, mein Handy beim Verlassen der U-Bahn in die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante fällt?" You know, the gap between platform and train, vor der sogar die Ansage im Zug warnt. Deshalb ist es schon zum Reflex geworden mein Handy in diesem Moment besonders fest in der Hand zu halten, sodass mir auch kein Schuppser das Handy aus der Hand schlägt. 

Natürlich gibt es auch die gängigen Situationen, die finaldestinationesque vor dem inneren Auge ablaufen: Was wäre wenn......ich vor die Bahn geschubst würde, ich mit dem Schuh in den Straßenbahnschienen stecken bleibe, ich stolpere und mir am Geländer die Zähne ausschlage und dem fiesesten: sich mein Finger versehentlich gänzlich in die falsche Richtung umklappt? Ist schon ganz schön anstrengend, dieses viele, unschöne Nachgedenke. 

Die Geister, die ich rief, bin ich einigermaßen losgeworden, aber nur weil ich abends meistens so müde bin, dass ich gar nicht dazu komme, sie zurück in meinen Kopf zu lassen. Der dicke Panzer aus Selbstdisziplin gegenüber angstbringenden Gedanken tut sein Übriges. Ich könnte mir aber vorstellen, dass ich in der richtigen Verfassung nachts beim Zappen, beispielsweise beim "Blair Witch Projekt" hängen bleiben würde...bis zum bitteren Ende, an dem die Kamera zu Boden fällt. Vermutlich müsste ich anschließend das Licht einschalten und eine Wohnungsbegehung machen, bei der ich jeden Winkel und jede Ecke nach eventuellen Eindringlingen, tot oder lebendig, inspiziere. Danach die Wohnungstür checken und vorsichtshalber den Schlüssel noch einmal im Schloss umdrehen. Um die verwirrten Gedanken beim Einschlafversuch nicht zu sehr auf Wanderschaft gehen zu lassen, werden sie durch eine Folge Bibi Blocksberg abgelenkt und auf die richtige Fährte gelockt. Wenn ich dann zum Geräusch von Bibis Gelenkus-Knackus sanft eingeschlafen bin, bleibt nur zu hoffen, dass mich das Hochklacken der Kassette nicht wieder aufschrecken und unweigerlich vermuten lässt: Robert Wadlow ist zurück.  





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