Yes, Sir! - oder: Ich steh auf dem Schlauch



„Fahrkartenkontrolle!“ Routiniert beginnen die Fahrgäste der S-Bahn in ihren Taschen zu wühlen und halten ihr Ticket zur Inspektion bereit, während sie parallel weiter ins Smartphone tippen oder Zeitung lesen. Auch meines wird sorgfältig geprüft und für gültig befunden. „Ihre Fahrkarte, bitte!“, sagt der Kontrolleur erneut und meint damit einen Mann, der aus dem Fenster schaut. Er trägt keine Kopfhörer, ist höchstwahrscheinlich auch nicht taub, er reagiert nur einfach nicht. „Hallo!! Ihren Fahrschein hätte ich gern gesehen!“, wird der Kontrolleur jetzt etwas energischer. Doch der Mann tut so als wäre Nichts, als sei der Kontrolleur unsichtbar und auf stumm geschaltet. Kurzzeitig scheint jener diese Möglichkeit tatsächlich in Betracht zu ziehen, sucht Blickkontakt mit anderen Fahrgästen und ist erleichtert als zurück geguckt wird. Er setzt nochmal an, winkt dem Mann vor der Nase herum, doch dieser zieht sein Ding gnadenlos durch. Der Kontrolleur weiß gar nicht mehr wie ihm geschieht, als ihm endlich sein Kollege zuwinkt und anweist, das Abteil zu verlassen. Da hat noch jemand kein Ticket dabei, es aber scheinbar bevorzugt, sich dazu zu äußern. Tze. Anfänger. Mit einem letzten verwirrten Blick verlässt der Kontrolleur die Bahn.

Vielleicht ist der Mann normalerweise ein ganz unbescholtener Bürger, der in aller Panik über seine vergessene Fahrkarte in eine Art Schockstarre verfallen ist. Cool wäre ja, wenn er jetzt plötzlich losglucksen und sich mit einem coolen Spruch den Schweiß von der Stirn pantomiert. Tut er aber nicht. Stattdessen bleibt er sitzen und fährt mit uns in einer von awkwardness geschwängerten Atmosphäre weiter.

Ich fahre ja nur ungern schwarz. Bisher auch nur unbeabsichtigt. Zurzeit besitze ich kein Monatsticket, muss also jedes Mal eine Fahrkarte kaufen und abstempeln. Manchmal kaufe ich aber auch direkt ein Vierer-Pack. Im Eifer des Gefechts kann es da schon Mal passieren, dass ich, während ich einer bereits tutenden U-Bahn entgegensprinte, das abstempeln vergesse. Just in die Bahn gestolpert, habe ich meistens erstmal damit zu tun meinen Atem zu kontrollieren, als die Gültigkeit meiner Fahrkarte. Irgendwann, meistens kurz vor dem Ziel, passiert es dann doch. Die Welt gefriert für eine Sekunde, die sich anfühlt wie eine Ewigkeit und ich werde mir gewahr: Ich fahre schwarz. 

Ich hadere mit mir auszusteigen und schnell abzustempeln. Schaffe ich es wieder zurück in die Bahn zu springen oder muss ich dann auf die nächste warten? Ich bin schon so spät dran. Es sind doch nur noch drei Stationen. Ich argumentiere mit mir selbst, wäge Pros und Contras ab, während ich die dazusteigenden Passagiere genau beobachte. Die Kontrolleure heutzutage sind ja nicht mehr so leicht zu erkennen. Tun ganz zivil, spielen ein Liebespaar und dann Bäm! Wenn die Türen zu gehen, ziehen sie ihr Kontrollgerätdingens aus der Bauchtasche. Ich durchlebe einen wahrgewordenen Thriller, habe mich wohl dazu entschieden, weiter zu fahren. Der Countdown läuft, wenn jetzt kein Kontrolleur mehr einsteigt, habe ich es geschafft.  

Rein körperlich bin ich nicht in der Lage regelmäßig derlei Adrenalinkicks durchzustehen, weshalb ich tutende Bahnen meistens wegfahren lasse oder kurze Strecken auch mal laufe. 

Situationen, in denen ich mich erklären muss oder Ärger bekomme(n könnte), weil ich etwas „falsch“ gemacht habe, liegen mir einfach nicht. Deswegen ist meine Devise: Nicht klauen, nicht stören, pünktlich sein, leise sein, nicht über Zäune klettern, nicht dazwischen reden, bei rot stehen, bei grün gehen, anschnallen, nicht zu schnell fahren, nicht zu dicht auffahren, gerade einparken, nach vorne gucken, zuhören, nicht ärgern, nicht lachen, nicht meckern, nicht rennen und NICHT. LÜGEN.

Ja, ich halte mich gerne an Regeln. Nein, ich kann nicht lügen. Ich halte Notlügen Anderer sogar oft für Unwissenheit oder Vergesslichkeit und stehe dann immer gern mit der Wahrheit zur Seite. Und merke es nicht mal. Nicht mal, wenn mich ein durchdringender Blick davon in Kenntniss zu setzen versucht. Ich steh ja nicht oft auf dem Schlauch, aber in solchen Situationen käme nicht mal Löschwasser durch. Kein Wunder, dass dies in letzter Zeit öfter an mir kritisiert wird. Tut mir ja leid, aber ich kann Nichts dafür. 

Mal ganz hypothetisch gesehen: Müssten mein Mann und ich Drogen zum Dealer, vom Dealer oder irgendwo anders hin bringen, sähe eine Fahrzeugkontrolle wahrscheinlich so aus. 

Polizist: „Haben Sie Drogen dabei?“ Mein Mann bleibt ruhig, sagt ganz eloquent, dass dies natürlich nicht der Fall ist. Verdutzt schaue ich zu ihm rüber, er starrt energisch zurück. Aber der Groschen fällt nicht, stattdessen verwundert mich sein scheinbarer Gedächtnisschwund: „Hä? Weißt du nicht mehr? In die Sitze sind doch 5 Kilo Koks eingenäht?! Wir haben doch eben gerade noch darüber geredet?!“ Mein Mann guckt perplex zwischen mir und dem Polizisten hin und her, an den ich mich jetzt vertrauensvoll wende, um die Situation richtig zu stellen: „Natürlich haben wir Drogen dabei. Ich zeig sie Ihnen. Wie kann ich ihnen noch helfen, Herr Polizist?“

So oder so ähnlich würde das ablaufen, ...also bringt mich oder euch einfach nicht in eine solche Situation. Ihr werdet es höchstwahrscheinlich bereuen. Mit mir kann man halt keine Pferde stehlen, mit mir kann man Pferde nur ausleihen und pünktlich zurückbringen.

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