Dog Content - oder: Yippie-Ya-Yeah Schweinenase





"Hier! Da! Nun nimm! Hiiiiiieeeiiier!", ich halte dem Hund ein Leckerli vor die Nase. Sie sieht es nicht, guckt mich nur fragend an. Ich halte es näher an ihre Schnute bis sie sich endlich vorsichtig ran tastet und den kleinen Hundesnack zwischen die Zähnchen nimmt. Langsam begreift sie, was es ist und beginnt genüsslich das Leckerli zu zerbeißen. Wir wiederholen das Prozedere. Beim dritten Mal hat sie das Prinzip verstanden.           

Luzie ist fast 16 Jahre alt, in Menschenjahren umgerechnet also…112? Das kann nicht sein. Tatsächlich hat mich dieses Ergebnis gerade so sehr überrascht, dass ich googlen musste, um die alte Mär von sieben Menschenjahren gleich ein Hundejahr nochmal nachzulesen: Würde der Hund über 45 Kilo wiegen, hätte sie bereits 148 Menschenjahre auf dem Buckel. Unter 15 Kilo Körpergewicht liegt das menschliche Äquivalent bei 84 Jahren. Ob sich das Hundealter bei 6,5 Kilo nun nochmal halbiert, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Hund ist nicht mehr der Jüngste, ich denke darauf können wir uns einigen und in diesem Alter geht das mit dem Sehen halt nicht mehr so gut. Das mit dem Hören war allerdings noch nie so ihr Ding und hat mit ihrem Alter nichts zu tun. Das Einzige, was sie immer verstand, war ihr Name und das sogar, obwohl sie in den ersten sechs Jahren ihres Lebens Susi hieß. 

Rückblende. Sommer 2007. Wir fanden Susi zunächst im Internet und einen Anruf und drei Stunden Fahrt später in einem Stall vor. Hier hatte sie gelebt und permanent Welpen produziert. Nun war sie aber zu alt und naja, was soll man dann noch mit diesem Hund anstellen, dachten sich die Vorbesitzer. Susi saß zusammen mit ihrem letzten Welpen auf einem Strohhaufen. Ihr langes Fell hatte sich mittlerweile in Farbe und Textur dem Stroh angepasst. Der Welpe war ein namenloser, schwarzer Fellhaufen, bei dem man Vorne nicht von Hinten unterscheiden konnte. Susi sei stubenrein, könne "Sitz" und höre auch hervorragend auf den Befehl "Ab", bestenfalls kombiniert mit einem energischen Fingerzeig. Mit "Pfötchen" oder "Hol's Stöckchen" könne sie nichts anfangen. 

Wir nahmen Susi direkt mit, auch wenn ich von diesem lethargisch dreinblickenden Hund anfänglich nicht sonderlich begeistert war. Aber gerade aus dem Elternhaus ausgezogen, war mein Stimmrecht unwirksam - glücklicherweise. Bereits auf der Rückfahrt änderten wir ihren doch recht gewöhnlichen Namen in den etwas originelleren Namen "Luzie", da wir annahmen, dass es dem Hund herzlich egal war, welche Konsonanten da beim Rufen mitschwangen. Wahrscheinlich hatte sie sowieso die ganze Zeit über angenommen ihr Name sei „Ab“. Unter ihrer neuen Identität und in behaglicher Umgebung entwickelte sich der alte Wischmob mit mattem Fell innerhalb weniger Wochen zu einem kuscheligen kleinen Teddybären, der seinen Lebensabend von nun an gemütlich auf der Couch erleben sollte.  
 
Vor kurzem erfuhr ich über das Telefon, dass aus dem Hund die Gebärmutter heraushing.  Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was dem Hund da widerfuhr, verzichtete aber dankend auf das Angebot meiner Mutter, mir davon ein Foto zu senden. Ganz von mir ungesehen wurde dem Hund vor einigen Wochen die stark beanspruchte Gebärmutter entfernt. Die folgenden Tage verbrachte Luzie hauptsächlich schlafend, sodass wir schon bangten, sie würde die Folgen der Operation nicht überstehen. Ich selbst hätte nach einem solchen Eingriff sicherlich auch wenig Lust direkt wieder spazieren zu gehen und fröhlich rum zu springen. Mit 84 erst recht nicht. So brauchte auch Luzie nur ein paar Tage länger um wieder ganz die Alte sein. Im Wahrsten Sinne. 
  
Beim Mittagessen sitzt der Hund neben dem Tisch, reckt die Nase nach oben und schnuppert. Das mit dem Riechen scheint besser zu funktionieren. Luzie holt ein bisschen Schwung, gerade so viel um ihre Vorderbeine auf meinem Knie zu platzieren und bringt ihre Nase damit in die Pole Position. Doch das bringt auch nichts. Das Menschenessen ist aufgegessen. Der Hundeblick bleibt. Na gut, weil du es bist. Ich hole eine getrocknete Schweinenase aus dem Leckerlieschrank. „Damit hast du erstmal zu tun“, sage ich, halte dem Hund die Nase vor die Nase und versuche mir dabei nicht zu genau vorzustellen, dass das "Leckerli" vor einer Weile selbst noch geschnuppert hat.

Das Prozedere von vorhin wiederholt sich. Luzie weiß zunächst nicht, wie ihr geschieht, zieht verwundert den Kopf ein, während ihre Nase hin und her tänzelt. Laut und deutlich höre ich es in ihrem Köpfchen rattern. Dann macht es Klick. Sie zupft mir die Schweinenase aus der Hand und tappelt in Richtung ihres kleinen Schlafsofas. Bevor sie sich dem langanhaltenden Knabbergenuss hingeben kann, muss sie zunächst sicherstellen, dass ihr die Beute nicht mehr abhanden kommen kann. Minutenlang wühlt sie ein imaginäres Loch in Ihr Kissen. Als es tief genug zu sein scheint, platziert sie die Schweinenase darin und schiebt mit ihrer Nase das gesamte Körbchen- Interieur und tonnenweise unsichtbare Erde darüber. Zufrieden und ein bisschen erschöpft kehrt sie ins Wohnzimmer zurück und tut so, als habe sie die Beute schleunigst verschlungen. Auch wenn wir sie gerade kichernd beobachtet haben und die Schweinenase noch immer sehr gut sichtbar mitten auf einem Gewühl von Decken und Kissen thront - wir spielen das Spiel mit. Ansonsten käme sie womöglich wieder auf die Idee, ihre Verstecke gründlicher auszuwählen und wir fänden derartige Leckerbissen beim abendlichen Kissenaufschütteln im eigenen Bett wieder. Yippie-Ya-...Nee.
Foto: "Luzies Waldspaziergang" - 2009 - Privataufnahme



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