Mrs. Sandman - oder: Der klägliche Versuch der Entspannung





Wenn ich meinen Kopf langsam zur Seite drehe, dann knirscht es. Es klingt ein bisschen so, als wären da grobe Sandkörner zwischen den Wirbeln, die ich mit jedem Drehen meines Kopfes zu feinerem Sand zermahle. Immer wieder rieselt welcher nach. Am liebsten würd ich da mal mit einem Staubsauger, und dem passenden Aufsatz für kleine Rillen, drüber gehen und alles wegsaugen, was knirscht und knistert. 

Ich bin eingerostet. Ich galoppiere keine Treppen mehr hoch- und runter, ich sprinte keiner Bahn mehr entgegen oder laufe verpassten Bussen hinterher. Zumindest nicht mehr täglich. Mehrmals. 

Ich arbeite jetzt Zuhause. Mein Weg zur Arbeit besteht aus 19 Schritten. 

Als Kind bin ich überall hingerannt und war es nur in die Küche. Ich rannte hin und schlug auf dem Rückweg ein Rad. Als Kind hätte ich mit ausgestreckten Beinen auf den Boden sitzend ein kleines Nickerchen machen können – mit der Nase auf den Knien. Heute komme ich im Stehen nicht mal mehr mit den Fingerspitzen auf den Boden, geschweige denn mit den Handflächen.  

Die meiste Zeit meines wachen Lebens saß ich wohl am Schreibtisch. Zuerst in der Schule und danach bei all meinen bisherigen Jobs. Auch heute bewegen sich meine Arme nur in einem kleinen Radius von der Tastatur bis zur Maus und heben ab und zu mal eine Tasse an. Bis auf ein etwaiges Achselzucken zwischendurch haben meine Schultern an einem normalen Tag nicht viel zu tun und fühlen sich mittlerweile an wie hart gewordene Knete.   

Ich sehne mich nach einer Massage, nach Entspannung und bereue es dann doch jedes Mal erneut, wenn ich ein kleines Vermögen für die vermeintliche Linderung ausgegeben habe.  

Man könnte ja in die Therme gehen und mit warmem, sprudelndem Wasser den schmerzenden Rücken erweichen. Mein Mann findet, das sei eine gute Idee. "Ich bin so verspannt, eigentlich kann es ja nur noch besser werden", dachte ich schon so oft und ging dann doch wieder enttäuscht nach Hause.  

Beim Reingehen ist meistens noch alles ganz cool, zumindest wenn ich nicht direkt schon jetzt die Begegnung mit dem nassen Pflaster auf dem Boden abhaken kann. 

Ich kann mich nur schwer beherrschen direkt ins 38°-Becken zu gehen, denn alles was danach kommt, ist einfach nur noch kalt. Also zuerst ins große Becken, wo Fontänen mit harten Wasserstrahlen ins Becken plätschern. Die sprühen aber meistens nur in Intervallen und meistens steht dann immer schon jemand drunter.

Ich weiß nicht warum, aber in Thermalbädern kann ich nicht schwimmen. Ich bewege mich eher watend fort, lasse mich zwischendurch auf Händen tragen und erfreue mich daran, dass ich hier auch auf Händen tragen kann.  

Nächste Station: Der Whirlpool. In meiner verklärten Vorstellung stand dieser vor dem Thermenbesuch noch für Romantik und Entspannung. Jetzt wo ich davor stehe, erinnere ich mich, dass da ja noch andere Leute mit drin sitzen. Zehn Leute, die bis zum Hals im Wasser sitzen und darauf warten, dass das nächste Intervall losblubbert. Es wirkt ein wenig wie ein Stammtisch, bei dem sich noch keiner kennt und alle nur peinlich berührt warten, dass endlich das Essen serviert wird. Als noch jemand dazu steigt, rücken wir noch ein bisschen zusammen. Was war das? Gerade hat etwas meinen Fuß touchiert. Es war weicher als ein Fuß. Sehr weich. Ich vermeide ab sofort Blickkontakt mit allen, bevor noch jemand auf die Idee kommt, es sei Absicht gewesen. Es sprudelt. Endlich. Ich gebe mir Mühe auch ein bisschen abzuschalten, schließe die Augen und lasse mich umblubbern. 

Irgendwie ist die Sitzbank zu niedrig angebracht. Oder ich bin zu klein. Zielgenau spritzt Wasser in mein Auge und legt langsam den dunstigen #Thermalbad-Filter auf mein Blickfeld. Dann blubbert es plötzlich nicht mehr. Intervall vorbei. Der Whirlpool ist plötzlich sehr langweilig. Und mir wird langsam kalt. 

Zeit für das Heißbecken. Hier ist es angenehm warm, diese Erwartung erfüllt das Becken einwandfrei. Immerhin. In die Seiten sind Düsen eingelassen, die einen harten Wasserstrahl ins Becken schießen. Konstant. Nur leider liegen meine Verspannungen weder in der Kniekehle, noch in der Taille, noch in den Fußsohlen. 

Der Blick auf die Uhr verrät: Noch eine Stunde. „Jetzt in die Sauna?“, frage ich und verneine innerlich. Aber wohin sonst? Nach dem Heißbecken gibt es kein Zurück. „Vielleicht gewöhne ich mich ja irgendwann dran.“, nötige ich mich in den Saunabereich und tue meinem Mann damit einen Gefallen. Der schwitzt irgendwie gerne. Hat ne dickere Haut oder so. Keine Ahnung.

Sauna. Textilfrei. Ich verstehe das Prinzip dahinter, aber dennoch entbehrt dieser Umstand jeglicher Entspannung, besonders wenn mir ein angezogener Mitarbeiter des Bades den Ablauf des speziellen Saunaganges erklärt und ich ihm fünf Minuten lang nackt zuhören muss. Bin ich eigentlich die Einzige hier, der das gerade total surreal vorkommt? Ich schaue mich um und Blicke in lauschende Gesichter. Hier ist es auf einmal sehr anstrengend den Augenkontakt nicht zu vermeiden. Zum Glück halte ich nach kurzer Zeit eine Schüssel mit Schlamm in Händen und fühle mich sogar damit schon ein wenig angezogener. 

Die Schlammpackung lenkt ein wenig von der Hitze ab. Ich halte es ein bisschen länger aus, als sonst, kann aber bald vor Schweiß in den Augen nichts mehr sehen. Endlich prasselt der versprochene lauwarme Regen von der Saunadecke. Es ist noch Zeit für einen weiteren Saunagang, ich ziehe es aber vor, mich dann schon mal in Ruhe umzuziehen. Ich latsche in die klirrend kalte Umkleide. In der Dusche will ein Kind von seiner Mutter wissen, warum die Frau „da“ Haare hat und die andere nicht. Auf seiner Augenhöhe ist das mit dem Blickkontakt nochmal eine ganz andere Herausforderung.






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